Klimawandel beschleunigt ökologisches Desaster:
Missbrauch des Schussendeltas als Nachklärbecken beenden!

Das Schussendelta, ein Naturschutzgebiet auch von europäischer Bedeutung, leidet erheblich unter den massiven Einträgen von Schad- und Nährstoffen. Statt ein naturnaher, unbelasteter Lebensraum für seltene Tier- und Pflanzenarten zu sein, dient es seit Jahrzehnten als Nachklärbecken für die in die Schussen eingeleiteten Abwässer der Region Oberschwaben und Teilen des Allgäus.

Nach mehreren Jahren, in denen mehrfach großflächige Algenplagen das Bild des Sees prägten und wochenlange Badeverbote für die Strandbäder Eriskirch und Langenargen ausgesprochen wurden, schwindet das Vertrauen in die bisherigen und von den Behörden für die Zukunft geplanten Maßnahmen. Unter den Augen von Behörden und Naturschutzverbänden bleibt die Schussen auch nach Jahrzehnten noch immer die Hauptquelle der Verschmutzung dieser sensiblen Uferzonen in unmittelbarer Nachbarschaft des Naturschutzgebiets „Eriskircher Ried“ und der Strandbäder von Langenargen und Eriskirch.

Zusätzlich verschärft der Klimawandel die Situation erheblich. Durch den Anstieg der Temperaturen, längere Trockenperioden und häufigere Starkregenereignisse könnten sich die bestehenden Probleme in den kommenden Jahren deutlich verstärken. Die steigenden Wassertemperaturen begünstigen das Algenwachstum zusätzlich und tragen zur Verschlechterung der Umweltbedingungen bei. Ohne geeignete Maßnahmen besteht die Gefahr, dass sich die ökologische Situation in der Flachwasserzone deutlich verschlechtert und langfristige Folgen für das gesamte Ökosystem hat.

Die Bürgerinitiative BIRDS fordert jetzt entschieden ein Ende dieses Missbrauchs und von den zuständigen Behörden eine schnelle, zielführende Lösung: z.B. die Ausleitung des belasteten Schussenwassers weiter in den See hinaus!

Das Schussendelta im Sommer 2024
Das Wasser der Schussen ist gut an seiner beige-braunen Farbe erkennbar. Es bedeckt die Flachwasserbereiche vor den Strandbädern Eriskirch und Langenargen und weiter nach Norden das seeseitige Gebiet des Eriskircher Rieds bis zur Rotachmündung. So stellt sich im Jahr 2024 die Flachwasserzone des Naturschutz- und FFH-Gebietes in seiner Funktion als Nachklärbecken dar.
 Foto: Martin Rehm, 2024

Recherchen der BIRDS decken auf: Die Zweckbestimmung des Schussendeltas ist die eines Nachklärbeckens!

Im Bodenseeuferplan von 1984 1 wird der Schutz der Flachwasserzone im Schussendelta wie folgt begründet:

Der Schutz der Flachwasserzone ist notwendig wegen ihrer Bedeutung für die Selbstreinigungskraft des Bodensees. Die langjährigen Untersuchungen der Landesanstalt für Umweltschutz – Institut für Seenforschung und Fischereiwesen Langenargen – haben gezeigt, dass in der Flachwasserzone mineralische und organische »Restlasten« aus den Zuflüssen zum Bodensee und aus den Kläranlagen abgebaut werden. Die Flachwasserzone wird deshalb auch als »atmende Seefläche« bezeichnet. Um diese Funktion zu erhalten, müssen die Stoffkreisläufe und Lebensbedingungen in der Flachwasserzone und im Übergangsbereich Wasser/Land möglichst ungestört bleiben.“

Es ist bemerkenswert, dass diese ursprüngliche Zweckbestimmung des Schussendeltas auch nach 40 Jahren von den Behörden bestätigt wird. So wurde im Landschaftsplan des Gemeindeverwaltungsverbandes Eriskirch-Kressbronn-Langenargen vom 29.08.2019 festgehalten2:

Die Flachwasserzone ist gewässerökologisch von hoher Bedeutung für die Selbstreinigungskraft des Bodensees. In ihr werden die mineralischen und organischen Restlasten aus den Zuflüssen des Bodensees und aus den Kläranlagenabläufen abgebaut.“

Bei den erwähnten „mineralischen Restlasten“ ist u.a. der Phosphor gemeint. Und unter den „organischen Restlasten“ geht es um nichts anderes als um Fäkalien – Überreste z.B. aus Entlastungen der Kläranlagen oder nach dem Überlaufen von Regenwasserüberlaufbecken!
Ganz offensichtlich geht es also bis heute nicht primär um den Schutz von Flora und Fauna, sondern um den Erhalt der „Flachwasserzone als Nachklärbecken“. Diese Zweckbestimmung wirft die Frage auf, inwieweit der Schutz des Ökosystems gegenüber der Funktion als Klärbecken nachrangig behandelt wird.

Naturschutz als Deckmäntelchen?
Das Schussendelta als Teil des Eriskircher Rieds steht sowohl land- auch seeseitig seit 1939 weitgehend unter Naturschutz. Diese Zone ist obendrein als eine europäische Flora-Fauna-Habitatzone (FFH-Schutzgebiet) ausgewiesen. Nach gängiger Auffassung ist der Eintrag von Schad- und Nährstoffen (z.B. Medikamentenrückstände, Industriechemikalien, Hormone oder Phosphor) in ein Naturschutzgebiet ein schwerwiegender Eingriff, der zu weitreichenden ökologischen Schäden führen kann.
Algenblüten reduzieren den Sauerstoffgehalt im Wasser, was zum Absterben von Wasserorganismen führen und die gesamte Nahrungskette beeinträchtigen kann. Der Schutz der Natur geht hier gegen Null.

Bedeutung der Flachwasserzonen für die „Selbstreinigungskraft des Bodensees“ ist fraglich
Für die BIRDs stellt sich die Frage: Ist es für die Selbstreinigung des Bodensees tatsächlich zwingend erforderlich, dass das Schussenwasser in die ufernahen Flachwasserzonen gelangt, um dort gereinigt zu werden?
Betrachtet man eine andere Stelle des Sees, zum Beispiel die Argenmündung, so wird klar: es braucht dafür keine Flachwasserzone. Dazu muss man wissen, dass die Argen ein ähnlich hoch belastetes Gewässer ist. Deren Wasser geht jedoch sofort in das Freiwasser des Bodensees hinein, eine Flachwasserzone fehlt hier.
Und blicken wir zum Überlinger See: Hier gibt es nur eine marginale Flachwasserzone, jedoch trotzdem eine hervorragende Wasserqualität. In Sipplingen erfolgt sogar die Trinkwasserentnahme für 4 Millionen Menschen!

Die Selbstreinigung des Bodensees ist ein komplexer Prozess, an dem viele Faktoren beteiligt sind. Die Flachwasserzonen sind zwar wichtig, aber sie sind nur ein Teil des Puzzles. Die Kombination aus biologischen, chemischen und physikalischen Prozessen sorgt dafür, dass der Bodensee ein relativ sauberes Gewässer bleibt

Abbildung 1: Verhältnisse im Bereich des Schussendeltas und der Argenmündung.
Das belastete Wasser der Schussen verteilt sich aufgrund uferparalleler Strömungen nicht über das Delta hinaus in den See, sondern fließt in die seitlichen Flachwasserzonen. Diese Zonen werden so als „Nachklärbecken“ missbraucht.
Wassertiefe 0,3 – ca. 5 m (bei Pegel Konstanz 306 cm).
Das Wasser der Argen dagegen fließt an der Mündung fast übergangslos in das Freiwasser (ohne Flachwasserzone). Dieses Wasser unterliegt den anderen Selbstreinigungseffekten des Bodensees. Die Wassertiefe ist hier schnell abfallend auf 75 – 170 m.
Abbildung 2: Zum Vergleich die Verhältnisse im Überlinger See.
Dort gibt es nur marginale Flachwasserzonen – aber das beste Wasser. Die Selbstreinigung erfolgt durch andere Effekte. Weiter westlich, vor Sipplingen wird das Wasser als Trinkwasser für 4 Millionen Menschen gewonnen.
Quelle Hintergrundgrafiken in Abbildungen 1 + 2: Hochauflösende Vermessung Bodensee – IGKB-Projekt „Tiefenschärfe“ (2015) und dem Bodensee-Wasserinformationssystem
Zusätzliche Beschriftungen der Grafiken: BIRDS

 
Flachwasserzonen am Bodensee enthalten nur 0,6% des gesamten Wasservolumens

Wissenschaftler der Arbeitsgruppe Bodenseeufer (AGBU) äußerten sich im Jahr 2004 in einem Gutachten3 skeptisch, was die seit den 1980er Jahren von der Wasserwirtschaftsverwaltung hervorgehobene besondere Rolle der Flachwasserzonen für die Selbstreinigungskraft „des Bodensees“ anbetrifft. Denn deren Fläche macht nur 13,5% der Seefläche und nur 0,6% des gesamten Wasservolumes aus. In der internationalen Literatur werde die Flachwasserzone eher als Quelle der Biomasse-Produktion denn als Ort des Biomasse-Abbaus angesehen: „Der Nachweis, welche der beiden Ökosystem-Funktionen im Bodensee-Uferbereich überwiegt, konnte bisher nicht erbracht werden“, so die Wissenschaftler.
Für die Intensität der Selbstreinigung sind beispielweise noch folgende Faktoren von Bedeutung: Das Verhältnis Wasseroberfläche zu Wasserkörper, die Belichtung des Gewässergrundes und die Wassertemperatur. Diese Faktoren sind über viele Monate in der Herbst-Winter-Frühjahrs-Periode im Schussendelta stark vermindert (niedriger Wasserstand, wenig Sonnenlicht, Kälte). Dann passiert nur wenig in dieser Flachwasserzone.
Obendrein fällt im Winter die Flachwasserzone im Schussendelta manchmal sogar fast vollständig trocken. Damit ist auch letztlich der Gesamteffekt der Selbstreinigung in dieser Zeit stark vermindert.

Brauchen Flora und Fauna die Nährstoffe aus der Schussen?
Es muss auch die Frage gestellt werden, ob Flora und Fauna der Flachwasserzone im Schussendelta auf die Nährstoffe aus der Schussen angewiesen sind? Betrachtet man die vorindustrielle Zeit, dann wird klar: Nein, keinesfalls! Denn die Schussen war im Naturzustand ein nährstoffarmer Fluss. Der heutige Phosphoreintrag durch die Schussen – noch immer um die 57 t pro Jahr! – ist völlig unnatürlich und rein menschengemacht. Viele Pflanzen und Tiere, die an nährstoffarme Bedingungen angepasst sind, können in einem überdüngten Gebiet nicht bestehen. Es kommt daher auch zur Verdrängung von Arten, weil nährstoffreiche Bedingungen oft bestimmte, schnell wachsende Pflanzenarten wie Laichkraut (besser bekannt als Seegras) und fädige Algen begünstigen. Diese können konkurrenzschwächere Arten verdrängen und somit die Artenvielfalt verringern..4

Revitalisierung des Schussendeltas – statt weiterhin Nachklärbecken der Region Oberschwaben!
Eine deutliche Reduzierung des Phosphorgehalts der Schussen ist auch weiterhin nicht zu erwarten. Allein eine Ausleitung des Schussenwassers direkt in den See kann in naher Zukunft die vorhandenen Missstände am Ufer verbessern. Manche mögen einen derartigen Eingriff beanstanden, doch in Wahrheit stellt er einen längst überfälligen Schritt hin zu einem ökologischen Normalzustand dar: Nährstoffarmes Wasser, in dem Pflanzen und Tiere, die an solche Bedingungen angepasst sind, endlich wieder gedeihen können. Keine Fäkalkeime, keine Badeverbote, keine stinkenden Algenteppiche mehr – sondern saubere Strände und ein respektvoller Umgang mit der Natur. Wer zum Alten Rhein ans östliche Ufer des Sees schaut, kann leicht erkennen: Mit einer Ausleitung kann naturnaher Lebensraum neu geschaffen und der Uferbereich ökologisch sogar aufgewertet werden!

Die Bürgerinitiative BIRDS fordert daher jetzt entschiedenes Handeln: Ein Nachklärbecken hat in einem Naturschutzgebiet nichts zu suchen. Es ist an der Zeit, die ökologische Integrität des Schussendeltas wiederherzustellen und diesem einzigartigen Lebensraum die Achtung zu schenken, die er verdient, bevor der Klimawandel die Schäden unumkehrbar macht

Ausleitung der Schussen – JETZT!

Verwendete Quellen

  1. Bodenseeuferplan von 1984 ↩︎
  2. Landschaftsplan Gemeindeverwaltungsverband Eriskirch-Kressbronn-Langenargen Fassung 29.08.2019 ↩︎
  3. Ostendorp et al., 2004 Rahmenbedingungen für ein naturschutz- und gewässerschutzfachliches Bewertungssystem für Seeufer
    am Beispiel des Bodensees, Gutachten der Arbeitsgruppe Bodenseeufer (AGBU)s
    ↩︎
  4. Dienst M. Irene Strang und Klaus Schmieder 2012 – Die Wasserpflanzen des Bodensee Untersees im Wandel der letzten 100 Jahre TNG_Band66_111-153_Wasserpflanzen ↩︎